• Personalisiert und Präzise

    So kann Aufklärung im Krankenhaus aussehen

    Im Interview mit Dr. Peter Gausmann, Geschäftsführer der GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH (Ecclesia Gruppe)

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    Hintergrund

    Dr. Peter Gausmann ist ein deutscher Experte für Patientensicherheit und klinisches Risikomanagement. Der Gesundheitsökonom und gelernte Intensivpfleger ist Geschäftsführer der GRB Gesellschaft für Risiko-Beratung mbH (Ecclesia Gruppe) Ehrenprofessor der Donau-Universität Krems und Aufsichtsrat eines norddeutschen Klinikverbundes.

     

    Er lehrt Patientensicherheit und Risikomanagement an verschiedenen Bildungseinrichtungen und ist in Organisationen wie dem Aktionsbündnis Patientensicherheit und der Plattform Patientensicherheit Österreich im Vorstand aktiv.

     

    Im Interview mit Mona Ciotta, Co-Gründerin und Geschäftsführerin von medudoc, anlässlich des “Internationalen Tags für Patientensicherheit”, betont Dr. Gausmann die entscheidende Bedeutung der Patientenaufklärung für eine gesteigerte Patientensicherheit und eine verbesserte Qualität in der medizinischen Versorgung.

     

    Gemeinsam beleuchten sie relevante Themen wie die rechtlichen Aspekte in der Patientenaufklärung und die Notwendigkeit, diese an die individuellen Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten anzupassen. Abschließend erörtert Peter Gausmann seine Vision für die Zukunft der Patientenaufklärung und zeigt auf, wie innovative Technologien und sinnvolle Digitalisierung, wie beispielsweise medudoc, dazu beitragen können.

  • Herausforderungen der traditionellen Patientenaufklärung

    Wie würden Sie die traditionelle Patientenaufklärung bewerten und ist sie aus Ihrer Perspektive noch zeitgemäß?

    Gausmann: Die traditionelle Patientenaufklärung mittels schriftlicher Aufklärungsbögen ist durchaus funktional, wenn sie ordnungsgemäß durchgeführt wird und den rechtlichen Anforderungen entspricht. Die Frage, ob sie zeitgemäß ist, ist jedoch eine andere. Die Herausforderung besteht darin, die Aufklärungsmethoden an die sich wandelnden Bedürfnisse und Erwartungen der Patienten anzupassen und möglicherweise moderne Technologien zu integrieren, um die Patientenaufklärung effektiver, zeitgemäßer und verständlicher zu gestalten.

     

     

    Welche technischen Möglichkeiten sehen Sie da? In welche Richtung könnte das zeitgemäßer werden?

    Gausmann: Das Problem - und wissenschaftlich belegt - ist, dass Patienten oft kurz nach dem Aufklärungsgespräch schon wieder vergessen haben, was mit ihnen besprochen wurde. Eine bewährte Lösung besteht darin, informative Videos zu bestimmten Eingriffen zu erstellen, die z.B. über QR-Codes abgerufen werden können, um den Patienten eine visuelle Vorstellung des geplanten Verfahrens zu vermitteln. Zusätzlich dazu ist es wichtig, herkömmliche Aufklärungsbögen mit umfassenden Informationen anzureichern. Dies ermöglicht es den Patienten nicht nur, den Bogen zu unterschreiben, sondern ihnen auch ein ausführliches Informationspaket zur Verfügung zu stellen, das siespäter im Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten durchlesen können.

     

    Welche Aufgaben sollten Entscheider und Entscheiderinnen in der Rechtslegung jetzt angehen, um Patientensicherheit in der Aufklärung zu verbessern? Welche neuen Standards sind hier nötig?

    Gausmann: Die Rechtslage ist erstmal eindeutig: Eine Körperverletzung bei einem Patienten ohne Zustimmung ist rechtswidrig. Sobald jedoch der Patient über die Risiken aufgeklärt wurde und nach Abwägung von Chancen und Risiken seine Einwilligung zur geplanten Maßnahme gibt, ist dieses Vorgehen rechtlich korrekt. Es ist jedoch wichtig, dies im Nachhinein nachweisen zu können, insbesondere vor dem Hintergrund möglicher Ansprüche seitens des Patienten. Diese Ansprüche können darin bestehen, dass der Patient nachträglich behauptet, nicht ausreichend über die Risiken informiert worden zu sein, die sich dann tatsächlich verwirklicht haben.

    Juristisch betrachtet ist es daher entscheidend, dass die Einwilligung des Patienten auf einer fundierten Informationsgrundlage beruht. Dabei muss die Einwilligungsfähigkeit gegeben sein, was bedeutet, dass der Patient nicht nur kognitiv in der Lage sein muss, sondern auch das Verständnis für die Situation haben sollte. Dies erfordert eine individualisierte Herangehensweise, die die spezifischen Risiken und den kulturellen Kontext des Patienten berücksichtigt. Die bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen sind daher ausbaufähig, insbesondere im Hinblick auf die Individualisierung des Aufklärungsprozesses.

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  • Digitale Lösungen und ihr Beitrag zur Patientensicherheit

    In Anbetracht der raschen Entwicklungen im Gesundheitswesen, welche neuen Ansätze sehen Sie für das klinische Risikomanagement in Bezug auf die Patientensicherheit?

    Gausmann: Die Patientenaufklärung ist eine wichtige Säule im klinischen Risikomanagement. Es ist entscheidend, zwischen klinischem Risikomanagement und Patientensicherheitsmanagement zu unterscheiden. Letzteres geht über die Risikobewertung aus der Sicht der Versicherer hinaus und hat eine breitere Perspektive. Ein zentraler Aspekt des klinischen Risikomanagements ist ein sachgerechtes und individualisiertes Aufklärungssystem.

    Seit 2021 fordert die WHO im Rahmen des "Global Patient Safety Action Plan" eine kontinuierliche Verbesserung der Patientensicherheit. Dies beinhaltet eine stärkere Einbindung der Patienten in das Thema Patientensicherheit sowie die Schaffung von Hochzuverlässigkeitsorganisationen, die bestimmte Sicherheitsmaßnahmen mit höchster Gewährleistung umsetzen. Die Patientenaufklärung ist ein integraler Bestandteil dieser Sicherheitsbemühungen.
    Zusätzlich gibt es eine Liste von sogenannten "Never Events", Ereignisse, die zu 100% vermieden werden können, wenn entsprechende Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören beispielsweise Operationen an der falschen Extremität oder die Verwechslung von Bluttransfusionen. Einige dieser "Never Events" stehen in direktem Zusammenhang mit der Patientenaufklärung. Um diese zu verbessern, sollte man sich an den Anforderungen des "Global Patient Safety Action Plan" und der "Never Events" orientieren.

     

    Wie tragen digitale Lösungen wie medudoc zur Verbesserung der Patientensicherheit bei?

    Gausmann: Die Patientenaufklärung trägt indirekt dazu bei, die Patientensicherheit zu verbessern. Ich möchte nicht behaupten, dass sie allein einen übermäßig starken Einfluss darauf hat, aber medudoc kann dazu beitragen, das Gesundheits- und Risikobewusstsein der Patientinnen und Patienten zu stärken. Die Individualisierung der Aufklärung fördert sowohl das Gesundheitsbewusstsein als auch das Risikobewusstsein. Dies wiederum führt dazu, dass Patienten ihre Mitwirkungspflichten besser begreifen und verinnerlichen. Ein Patient, der umfassend aufgeklärt ist, zeigt tendenziell eine höhere Bereitschaft zur Zusammenarbeit, was die Sicherheit insgesamt erhöhen kann.

     

    Sehen Sie Vorteile in der digitalen Aufklärung und Dokumentation im Vergleich zur traditionellen, papierbasierten Methode, insbesondere in Bezug auf den Ablauf in Kliniken und die Arbeit der Ärzte?

    Gausmann: Ja, ich sehe definitiv Vorteile in der digitalen Aufklärung und Dokumentation. Juristisch gesehen bietet eine gut erstellte, digitalisierte Aufklärung den Vorteil, dass sie von verschiedenen Orten aus abgerufen werden kann – sowohl von zu Hause aus durch den Patienten als auch von den medizinischen Fachkräften über die elektronische Patientenakte (EPA). 

    Diese digitale Integration verbessert erheblich den Ablauf in der Klinik, da Ärzte und medizinisches Personal die Aufklärungsinformationen bequem überprüfen können, um sicherzustellen, dass sie vollständig und aktuell sind. Darüber hinaus könnte die Aufklärung digital in den Workflow integriert werden und automatisierte Überprüfungen sicherstellen, dass die Aufklärung ordnungsgemäß durchgeführt wurde, bevor eine Operation beginnt.

    Dies trägt dazu bei, die Patientensicherheit zu erhöhen, indem sie als integraler Bestandteil der gesamten Versorgungskette betrachtet wird – eine Anforderung, die auch im Global Patient Safety Action Plan betont wird. Somit ist die digitale Aufklärung nicht nur ein einzelnes Element, sondern ein bedeutender Schritt in Richtung einer umfassenden Patientensicherheit.

  • Patientenbeteiligung und -Verständnis

    Inwieweit können besser informierte und vorbereitete Patienten zu einem reibungsloseren Behandlungsverlauf beitragen?

    Gausmann: Besser aufgeklärte Patienten sind in der Lage, ihre Mitwirkungspflichten besser zu verstehen und zu erfüllen. Aufklärung beinhaltet nämlich auch immer die Verantwortung des Patienten, bestimmte Vorbereitungen zu treffen, wie beispielsweise Nahrungskarenz. Dadurch kommen Patienten besser präpariert in die Klinik. Dies ist besonders im Zusammenhang mit der verstärkten ambulanten Versorgung von großer Bedeutung und wird den Prozess der ambulanten Medizin erheblich erleichtern.

    Kennen Sie Beispiele, bei denen fehlende Informiertheit oder ungenügende Vorbereitung die Patientensicherheit beeinträchtigt haben?

    Gausmann: Ja, das betrifft beispielsweise das Nicht-Einhalten der Nahrungskarenz, was in der Vergangenheit zu Fällen von Aspirationspneumonie geführt hat. Ebenso ist die unzureichende Vorbereitung auf einen Darmchirurgie-Eingriff ein Problem, einschließlich der Körperreinigung und anderer vorbereitender Maßnahmen. Es gibt viele Aspekte, bei denen mangelnde Vorbereitung in der häuslichen Umgebung zu Problemen führen kann, insbesondere in Bezug auf Infektionsprävention und Hygiene. Eingriffe erfordern oft auch eine temporäre oder dauerhafte Änderung des Lebensstils, wie im Fall von Patienten, die ein Magenband erhalten. Daher ist umfassende Aufklärung nicht nur über die Risiken, sondern auch über das angemessene Verhalten in solchen Situationen von großer Bedeutung.

  • Rechtliche Absicherung und Dokumentation

    Wie schätzen Sie eine elektronische Dokumentation und Unterschrift in Bezug auf die rechtliche Absicherung von Kliniken und Ärzten ein?

    Gausmann: Aus meiner nicht-juristischen Perspektive kann ich sagen, dass ich selbst viele Dokumente und Transaktionen heute digital unterzeichne. Solange im Hintergrund nachvollziehbar ist, wer was getan hat, und die technischen Maßnahmen gewährleisten, dass ich zu jeder Zeit nachprüfen kann, wer wann und wie aufgeklärt wurde und ob der Patient die Aufklärung rechtsverbindlich unterschrieben hat, sehe ich kein Problem damit. Obwohl Datenschutz hier natürlich von äußerster Bedeutung ist, glaube ich, dass wir manchmal aufgrund dieser Bedenken Fortschritte in der Digitalisierung blockieren. In diesem Fall scheint dies jedoch umgesetzt worden zu sein.

     

    Inwiefern kommt eine digitale Dokumentation und Unterschrift der Verbesserung der Patientensicherheit zupass? Ist das überhaupt der Fall?

    Gausmann: Der Ansatz der Patientenaufklärung ist zweifellos zweckmäßig, insbesondere, wenn er umfassend praktiziert wird. Dies bedeutet, dass der Aufklärungsbogen individualisiert, an die Bedürfnisse des Patienten angepasst und möglicherweise sogar mit visuellen Hilfsmitteln versehen wird. In dieser Form kann die Aufklärung zu einem äußerst wertvollen Instrument werden, wenn sie gründlich durchgeführt wird. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass viele Ärzte die Aufklärung als lästig empfinden. Persönlich rate ich meinen Studenten und angehenden Medizinern immer, die Aufklärung als eine Gelegenheit zur Kommunikation mit ihren Patienten zu sehen. Statt sie als mühsame rechtliche Verpflichtung zu betrachten, sollten sie diese als Chance begreifen, eine sinnvolle Zeit mit ihren Patienten zu verbringen, deren Ängste zu mindern, sie über Risiken aufzuklären und gleichzeitig die rechtliche Sicherheit zu gewährleisten.

    Die Patientenaufklärung bietet die Gelegenheit zu einer effektiven und strukturierten Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Mit modernen Ansätzen, die Technologie und Individualisierung einschließen, können wir die Qualität dieser Kommunikation weiter steigern.

     

    Angesichts der traditionellen Praxis, bei der Ärzte handschriftliche Anpassungen an Aufklärungsbögen vornehmen, um die individuellen Aufklärungsgespräche nachzuweisen, stellt sich die Frage: Ist dieser Ansatz noch zeitgemäß?

    Gausmann:Diese Aufklärungsbögen sind nicht willkürlich entstanden, sondern sie sind aufgrund ihrer gewissen Komplexität und Rechtsverbindlichkeit entwickelt worden. Sie strukturieren den Aufklärungsprozess, indem sie die Indikation, allgemeine Risiken und spezifische Risiken abdecken.

    Die Frage, ob dieser Ansatz noch zeitgemäß ist, kann jedoch in zwei Richtungen beantwortet werden. Einerseits ist er zeitgemäß, da er in vielen Fällen das einzige verfügbare Mittel ist. Andererseits könnte man argumentieren, dass er nicht mehr zeitgemäß ist, da heute effizientere Systeme zur Verfügung stehen, die die Mediziner bei ihrer Arbeit unterstützen können.

    Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft der Patientenaufklärung aus?

    Gausmann: Die Patientenaufklärung sollte vorrangig umfassend, verständlich und auf den individuellen Patienten zugeschnitten sein. Entscheidend ist dabei, das Bewusstsein für Gesundheit und Risiken zu schärfen und somit eine gewisse erzieherische Wirkung auf den Patienten zu haben. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit sehe ich als ein Ergebnis dieser umfassenden und edukativen Aufklärung.