• Schneller, effizienter, sicherer

    Wie digitale Lösungen die Patientenaufklärung optimieren

    Im Interview mit Prof. Dr. Alexandra Jorzig, Fachanwältin für Medizinrecht und Professorin an der IB Hochschule für Gesundheit und Soziales in Berlin im Bereich Gesundheitsrecht und Digital Health

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    Hintergrund

    Prof. Dr. iur. Alexandra Jorzig ist Fachanwältin für Medizinrecht und hat sich im Laufe ihrer Karriere als Dozentin und Lehrbeauftragte an verschiedenen Bildungseinrichtungen wie der Deutschen Anwaltakademie, der DIU Dresden International University und der Hochschule Osnabrück engagiert. Sie bekleidet eine ordentliche Professur an der IB Hochschule für Gesundheit und Soziales in Berlin für Gesundheitsrecht und Digital Health.

     

    Zudem ist sie Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht in der AWMF und Wissenschaftliche Beirätin in der Deutschen Gesellschaft für Digitale Medizin.

     

    Prof. Jorzig ist für ihre Expertise in verschiedenen Bereichen des Medizinrechts bekannt, darunter Arzthaftungsrecht, ärztliches Berufsrecht und Datenschutz im Gesundheitswesen.

     

    Im Interview mit Mona Ciotta, Co-Gründerin und Geschäftsführerin von medudoc, anlässlich des “Internationalen Tags für Patientensicherheit”, betont Prof. Jorzig die entscheidende Rolle der Compliance für eine rechtssichere Aufklärung und gesteigerte Patientensicherheit.

     

    Gemeinsam beleuchten sie relevante Themen wie die rechtlichen Aspekte in der Patientenaufklärung und die Notwendigkeit, eines individuellen Aufklärungsgesprächs. Abschließend erörtert Prof Jorzig ihre Vision für die Zukunft der Patientenaufklärung und zeigt auf, wie innovative Technologien und sinnvolle Digitalisierung, wie beispielsweise medudoc, dazu beitragen können.
  • Herausforderungen der traditionellen Patientenaufklärung

    Wie würden Sie die traditionelle Patientenaufklärung bewerten und ist sie aus Ihrer Perspektive noch zeitgemäß?

    Jorzig: Die traditionelle Patientenaufklärung mittels schriftlicher Aufklärungsbögen ist durchaus funktional, wenn sie ordnungsgemäß durchgeführt wird und den rechtlichen Anforderungen entspricht. Die Frage, ob sie zeitgemäß ist, ist jedoch eine andere. Die Herausforderung besteht darin, die Aufklärungsmethoden an die sich wandelnden Bedürfnisse und Erwartungen der Patienten anzupassen und möglicherweise moderne Technologien zu integrieren, um die Patientenaufklärung effektiver, zeitgemäßer und verständlicher zu gestalten.

     

     

    Welche bedeutenden Chancen erkennen Sie in der Verbesserung der Patienteninformation und den potenziellen positiven Auswirkungen auf den Arbeitsablauf der Ärztinnen und Ärzte?

    Jorzig: Natürlich ist es von großem Nutzen, wenn Patienten die Möglichkeit haben, sich im Voraus umfassend zu informieren. Früher z.B. kam die Krankenschwester ins Zimmer, legte ein Formular auf den Nachttisch und kehrte später zurück, um die Unterschrift zu erhalten. Das ist keine angemessene Aufklärung. Heute stehen uns digitale Tools zur Verfügung, wie beispielsweise Videos, welche nicht nur die Vorbereitung erleichtern, sondern auch kürzere Arztgespräche ermöglichen.

     

    Es reicht aber nicht aus, im Aufklärungsgespräch lediglich zu sagen: "Haben Sie Fragen? Nein? Ok." Ein solches Vorgehen ersetzt kein umfassendes Gespräch. Hierbei muss ebenfalls das Selbstbestimmungsrecht gewahrt werden, und das Gespräch muss den medikolegalen Anforderungen gerecht werden. Es ist daher unerlässlich, die wesentlichen Punkte wie Behandlungsrisiken, Ablauf und mögliche Risiken anzusprechen und dann auf individuelle Fragen des Patienten einzugehen.

     

    Demzufolge kann die Aufklärung effizienter gestaltet werden, wenn sie gut strukturiert ist. In diesem Fall kann der Patient den geplanten medizinischen Eingriff und den Ablauf besser verstehen, selbst wenn er keine medizinische Ausbildung hat. Ein großer Mehrwert besteht darin, dass gut aufbereitete Informationen den Patienten helfen, auch ohne medizinisches Fachwissen mehr zu verstehen. Manchmal sind solche Informationen sogar verständlicher als die Erklärungen eines Arztes.Darüber hinaus sollten wir nicht vergessen, dass Ärzte ebenfalls Menschen sind und Fehler machen können. Es kann vorkommen, dass sie Informationen vergessen. Dies kann zu Missverständnissen führen, wenn Patienten später feststellen, dass ihnen wichtige Informationen nicht mitgeteilt wurden.

     

    Daher ist eine gut strukturierte und umfassende Aufklärung von entscheidender Bedeutung, um solche potenziellen Missverständnisse zu minimieren und die Patientensicherheit zu erhöhen.

     

     

    Welche Aufgaben sollten Entscheider und Entscheiderinnen in der Rechtslegung jetzt angehen, um Patientensicherheit in der Aufklärung zu verbessern? Welche neuen Standards sind hier nötig?

    Jorzig: Die Berücksichtigung der zeitlichen Komponente während der Aufklärung ist von entscheidender Bedeutung. Eine Aufklärung sollte niemals in Eile oder unter Zeitdruck durchgeführt werden. Insbesondere bei geplanten, elektiven Eingriffen ist eine rechtzeitige Aufklärung von größter Wichtigkeit, was im Vorfeld gut geplant und gesteuert werden sollte.

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    Gute Aufklärungstools minimieren das Risiko für Ärztinnen und Ärzte
  • Digitale Lösungen und ihr Beitrag zur Patientensicherheit

    In Anbetracht der raschen Entwicklungen im Gesundheitswesen, welche neuen Ansätze sehen Sie für das klinische Risikomanagement in Bezug auf die Patientensicherheit?

    Jorzig: Die Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärung hat sich insofern geändert, dass Ärzte, die die Aufklärung durchführen, nun für etwaige Fehler bei der Aufklärung haftbar gemacht werden können, und nicht nur die ausführenden Ärzte. Dies erfordert von allen Ärzten eine äußerst gewissenhafte Aufklärung, um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten. Oftmals werden wichtige Details übersehen, wie beispielsweise Allergien. Es kommt häufig vor, dass dann eine falsche Behandlungsmethode gewählt wird, obwohl der Patient Allergien hat. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten einzugehen und auf ihre Vorerkrankungen hinzuweisen.

     

    Können hier digitale Lösungen, wie z.B. medudoc durch individualisierte videogestützte Patientenaufklärung, die Patientensicherheit verbessern?

    Jorzig: Ja, das denke ich definitiv. Besonders in Bezug auf Informationen, die in der Patientenakte vermerkt sind, wie zum Beispiel Allergien. Besonders im Bereich der Narkoseaufklärung haben Anästhesisten nicht immer Zugang zu allen Unterlagen. Mit digitalen Lösungen wie medudoc können wir die Informationen aus der Patientenakte nutzen, um die Patienten gezielt über ihre Allergien aufzuklären und Ärzte bei der Wahl der korrekten Behandlunsgmethode zu unterstützen.

    Außerdem ist die Verfügbarkeit insofern sinnvoll, dass Patienten ihre individuellen Aufklärungsinhalte in aller Ruhe zu Hause durchgehen können, vielleicht sogar an mehreren Abenden hintereinander. Das ist nachweislich effektiver. Studien zeigen nämlich, dass Menschen nach einem Aufklärungsgespräch nur etwa 3% der Informationen nach drei Tagen noch präsent haben. Das ist erschreckend wenig. Aber das ist eine Schutzreaktion des Gehirns solche Stresssituationen zu verdrängen. Durch die Vorbereitung außerhalb der Stressituation “Arztgespräch” kann man sicherstellen, dass die Informationen besser im Gedächtnis verankert werden und sich demnach die Patientensicherheit und die Compliance der Patienten erhöht.

     

    Welche Vorteile bietet eine digitale Aufklärung im Vergleich zu herkömmlichen Papierbögen?

    Jorzig: Die digitale Aufklärung ermöglicht eine umfassende und standardisierte Aufklärung, bei der keine Informationen vergessen werden. Dies gewährleistet, dass alle Patienten gleichermaßen informiert werden und verhindert nachträgliche Vorwürfe, dass die Aufklärung nicht stattgefunden hat oder unzureichend war.

    Jedoch birgt diese Methode das Risiko, individuelle Patientenbedürfnisse zu vernachlässigen. Besonders im rechtlichen Kontext ist es von entscheidender Bedeutung, Lösungen zu finden, um sicherzustellen, dass die elektronische Aufklärung sowohl umfassend als auch auf die individuellen Bedürfnisse der Patienten zugeschnitten bleibt. Wenn beispielsweise im Aufklärungsbogen eine Zeichnung angefertigt wurde, dient dies als Beleg dafür, dass das Aufklärungsgespräch stattgefunden hat. Ähnliche Nachweise einer Individualisierung benötigen wir auch bei einer digitalen Aufklärung.

    Es ist wichtig zu betonen, dass es in diesem Zusammenhang bisher nur begrenzte rechtliche Erfahrungen gibt. Um eine abschließende rechtliche Bewertung zu ermöglichen, werden wahrscheinlich Präzedenzfälle vor Gericht erforderlich sein.

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    Durch eine bessere Aufklärung der Patienten kann ein reibungsloserer Ablauf gewährleistet werden, was letztendlich zur Steigerung der Patientensicherheit beiträgt und die rechtliche Sicherheit für den Arzt erhöht.
  • Patientenbeteiligung und -Verständnis

    Inwieweit können besser informierte und vorbereitete Patientinnen und Patienten zu einem reibungsloseren Behandlungsverlauf beitragen?

    Jorzig: Die klare Kommunikation von Anweisungen, wie zum Beispiel die Notwendigkeit, vor einer Anästhesie nüchtern zu sein oder bestimmte Medikamente abzusetzen, steigert die Sicherheit, indem Patienten verstehen, was von ihnen erwartet wird. Wenn Patienten den Grund für solche Maßnahmen nicht eigenständig erfassen oder gestresst sind und die Anweisungen vergessen oder falsch umsetzen, kann dies die Patientensicherheit gefährden. Es ist wichtig zu berücksichtigen, dass nicht alle Patienten in gleichem Maße geschult sind oder die Fähigkeit zur Eigenverantwortung besitzen, um diese Entscheidungen eigenständig zu treffen.

    Durch eine bessere Aufklärung der Patienten kann ein reibungsloserer Ablauf gewährleistet werden, was letztendlich zur Steigerung der Patientensicherheit beiträgt und die rechtliche Sicherheit für den Arzt erhöht.

    Kennen Sie Beispiele, bei denen fehlende Informiertheit oder ungenügende Vorbereitung die Patientensicherheit beeinträchtigt haben?

    Jorzig: Eines der prominentesten Beispiele ist die ungenaue Angabe des Gewichts durch Patienten vor einer Operation. Wenn Patienten aus Scham oder aus anderen Gründen falsche Informationen über ihr Gewicht bereitstellen, kann dies zu schwerwiegenden Komplikationen führen, da die Dosierung von Anästhetika und anderen Medikamenten davon abhängt. Patienten müssen verstehen, dass ihre Kooperation und Ehrlichkeit in diesem Bereich für ihre eigene Sicherheit von entscheidender Bedeutung ist.

  • Rechtliche Absicherung und Dokumentation

    Wie schätzen Sie eine elektronische Dokumentation und Unterschrift in Bezug auf die rechtliche Absicherung von Kliniken und Ärztinnen und Ärzten ein?

    Jorzig: Grundsätzlich benötige ich eigentlich nicht einmal eine schriftliche Dokumentation, es sei denn aus forensischen Gründen im Rahmen eines rechtlichen Verfahrens. Dies liegt daran, dass ein Patient auch durch konkludentes Verhalten seine Einwilligung erteilen kann, zum Beispiel indem er zur Operation erscheint, was als stillschweigende Einwilligung gilt.

    Genau für solche Situationen ist es ratsam, den Prozess besonders sicher zu gestalten. Die sicherste Option wäre zweifellos die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Unterschrift. Dennoch genügt aus rechtlicher Sicht auch die einfache Unterschrift.

     

    Gibt es tatsächlich Fälle, in denen Patientinnen und Patienten behaupten, sie haben nicht zugestimmt und die Unterschrift sei nicht von ihnen?  

    Jorzig: Ja, im Ernstfall ist es gängige Praxis, Ausweise als Vergleichsmittel zur Überprüfung zu verwenden. Der Richter bittet den Patienten dann nachdrücklich, den Aufklärungsbogen anzusehen und die Unterschrift zu überprüfen. In etwa 90% der Fälle bestätigen die Patienten in dieser Situation, dass die Unterschrift tatsächlich ihre eigene ist. Allein der Eintrag im Kalender, der darauf hinweist, dass der Patient zum Aufklärungsgespräch vor Ort war, dient nur als Indiz. Die tatsächliche Unterschrift hat hier Bedeutung und ist ein entscheidender Nachweis.

     

    Sehen Sie auch Chancen für eine verbesserte Patientensicherheit mit einer digitalen Dokumentation?

    Jorzig: Die Nutzung digitaler Informationen zur Verbesserung der Aufklärung ist sowohl Fluch als auch Segen zuleich. Vorteile ergeben sich, wenn die Aufklärung gut vorbereitet ist und der Arzt das Gespräch strukturiert führt. In solchen Fällen kann Zeit im Aufklärungsgespräch gespart werden, da der Arzt im Gespräch mit dem Patienten nicht mehr auf jedes Details eingehen muss. Die Dokumentation der Aufklärung ist ebenfalls verbessert, da digitale Informationen nicht verloren gehen können, wie z.B, ein Blatt Papier. Allerdings besteht die Gefahr, dass Ärzte sich bei zu viel Standardisierung zurücklehnen und das Gespräch vernachlässigen. Dies hat dann wiederum einen gegenteiligen Effekt und kann Schadensersatzansprüche nach sich ziehen. Daher ist es entscheidend, dass trotz digitaler Unterstützung das Gespräch zwischen Arzt und Patient weiterhin stattfindet.
    Dies erfordert gut ausgebildetes Personal und ein effektives Risikomanagement, um einen guten Prozess sicherzustellen. Wenn diese Aspekte jedoch berücksichtigt werden, besteht zweifellos das Potenzial und birgt riesige Chancen, die Compliance der Patienten zu steigern. Dies trägt nicht nur zur Verbesserung der Patientensicherheit bei, sondern optimiert auch den Arbeitsablauf, was wiederum eine Entlastung für die Ärzte bedeutet.

    Der Status Quo verleitet aktuell ja ebenfalls dazu, ein Blatt Papier vom Stapel zu nehmen und dies dem Patienten vorzulegen. Ist es möglich, dass wir in Zukunft nicht mehr auf handschriftliche Anpassungen von Aufklärungsdokumenten angewiesen sind, um rechtliche Nachweise zu erbringen, insbesondere wenn belegbar ist, dass Patienten qualitativ hochwertige, verständliche und rechtzeitig bereitgestellte Aufklärungsmaterialien, wie z.B. individualisierte Aufklärungsvideos, erhalten haben?

    Jorzig: Das vermag ich momentan nicht zu beurteilen, da die Rechtsprechung noch nicht so weit ist. Momentan zeigt sich die Rechtsprechung als äußerst restriktiv, insbesondere in Bezug auf die strengen Anforderungen des Bundesgerichtshofs (BGH). Was ich mir gut vorstellen könnte, ist die Möglichkeit, das Aufklärungsgespräch in Form eines Videos aufzuzeichnen, vorausgesetzt, der Patient stimmt einer solchen Aufzeichnung zu. Diese Klarheit könnte zu einer erheblichen Vereinfachung und Transparenz führen, da Streitigkeiten und potenzielle Unehrlichkeiten in Bezug auf die Aufklärung reduziert würden. Die Implementierung eines solchen Systems würde allerdings auch Herausforderungen in Bezug auf Datenschutz und Ethik mit sich bringen. Die Gestaltung der Zukunft der medizinischen Aufklärung und ihrer rechtlichen Nachweisbarkeit ist vielschichtig und erfordert eine sorgfältige Abwägung, um die Interessen sowohl der Patienten als auch der Ärzte gleichermaßen zu schützen.

     

     

    Ist dieser Ansatz noch zeitgemäß dass ein Papierbogen handschriftlich ergänzt werden muss?

    Jorzig: Ich sehe es nicht mehr als zeitgemäß an, auf Papier zu setzen. Stattdessen sollten wir vollständig in die digitale Welt eintauchen, da Patienten dies zunehmend erwarten. Ob die Aufklärung nun digital oder analog erfolgt, die zugrunde liegende Idee bleibt dieselbe.

     

     

    Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft der Patientenaufklärung aus?

    Jorzig: Ich bin überzeugt, dass KI in der medizinischen Kommunikation eine bedeutende Rolle spielen wird, indem sie Patienten vor Aufklärungsgesprächen im Vorfeld Fragen beantworten kann – und das in ihrem individuellen Tempo. Wenn Ärzte gestresst sind, kann sich dieser Stress auf die Patienten übertragen, was dazu führt, dass sie weniger Fragen stellen und ihr Recht auf Selbstbestimmung daher beeinträchtigt wird. Die KI könnte dabei helfen, die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen, insbesondere hinsichtlich der Patientensicherheit und der Gewährleistung der Integrität des Entscheidungsprozesses.